Forum Inklusion:
Aus der Werkstatt in das Unternehmen – Wie die Rekrutierung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen gelingt

Kindergärten, Logistikunternehmen, IT-Firmen und Handwerksbetriebe – das sind nur einige der Arbeitsorte von Menschen aus den Elbe-Werkstätten. Der Übergang und Einsatz wird eng begleitet sowie finanziell durch das Budget für Arbeit unterstützt, berichtete Sven Neumann, Fachleitung Arbeit inklusiv. Beim Forum Inklusion lernten die Teilnehmenden die Möglichkeiten der Zusammenarbeit kennen und konnten über einen gemeinsamen Privilege Walk auch das Vorhandensein oder Fehlen von Privilegien in einem Employee Lifecycle erfahren.

Sven Neumann am Rednerpult vor dem Publikum Sven Neumann am Rednerpult vor dem Publikum
Sven Neumann am Rednerpult vor dem Publikum Foto: KWB

"Assume that I can, so maybe I will"

Video "Assume that I can, so maybe I will" auf YouTube Screenshot von youtube

Das mitreißende Video "Assume that I can, so maybe I will", welches die "National Down Syndrome Society" im Rahmen des jährlichen Welt-Down-Syndrom-Tages veröffentlicht hat, prangert eine entscheidende Hürde für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung an Gesellschaft und Arbeit an: nämlich die Voreingenommenheit, ihnen viele Fähigkeiten, Stärken und Bedürfnisse pauschal abzusprechen. Hinzu kommen häufig fehlende Berührungspunkte und diffuse Ängste. Dabei habe die mehr als 3.000 Menschen, die in Hamburger Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) oder bei anderen Leistungsanbietern arbeiten, ein enormes Potenzial. Viele von ihnen können sich den "Außeneinsatz" sehr gut vorstellen.

Inklusion erfordert Mut von beiden Seiten

Wo liegen die Vorteile für Menschen mit Behinderung, den "sicheren Hafen" der Werkstatt zu verlassen? "Sie bekommen die Chance auf einen verbesserten sozialen Status, gesellschaftliche Anerkennung und wahrscheinlich auch ein erhöhtes Selbstwertgefühl", legt Dr. Oliver Borszik in seiner Anmoderation nahe. "Außerdem ist damit häufig auch ein höherer Lohn verbunden." So entwickelt gerade diese Mitarbeitergruppe oftmals eine besonders hohe Motivation bei der Arbeit. 

Dr. Oliver Borszik Dr. Oliver Borszik
Dr. Oliver Borszik leitete das Forum Inklusion und ging mit den Teilnehmenden über Umfragen und Übungen in Interaktion. Foto: KWB

Stand in den anwesenden Unternehmen

Wie sieht es auf Seiten der Unternehmen aus? "Ich möchte Sie bitten, an einer digitalen Live-Umfrage teilzunehmen", leitete Oliver Borszik ein. Über ihre Smartphones konnten die Teilnehmenden angeben, welche Erfahrungen sie bereits mit der Rekrutierung, Beschäftigung und Ausbildung von Menschen, die in einer WfbM gearbeitet haben, gemacht haben.

Das Ergebnisbild wies einen ganz unterschiedlichen Erfahrungsstand auf. Erfreulich ist die Offenheit der meisten Teilnehmenden, sich für inklusivePersonalgewinnung, Zusammenarbeit und Unternehmenskultur sensibilisieren zu lassen. Eine Teilnehmerin führte ihre positive Erfahrung aus: "Über den DuoDay haben wir Kontakt zu einem ganz engagierten Mann mit Behinderung bekommen, der nach zwei Praktika nun eine Anstellung bei uns bekommt." Ein motivierendes Beispiel, das zeigt, wie wichtig der erste Schritt ist – denn die weiteren Schritte fallen dann häufig viel leichter.

Antwortenverteilung auf die Frage: "Haben Sie schon Erfahrungen mit Personen gemacht, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen gearbeitet haben?"

Verbindung aus Diversity und Inklusion

"Viele Unternehmen nehmen Inklusion als Diversity-Thema inzwischen immer wichtiger", erklärte Sara Hildebrandt, Geschäftsführerin der HR Heroes GmbH, in ihrer Keynote. Ihnen sei klar, dass sie mit dem Schritt zur inklusiven Personalpolitik ihre Arbeitgeberattraktivität steigern, die Unternehmenskultur verbessern und den Arbeitskräftemangel mindern können.

Best Practice bei Konzernen und KMU

Als positive Beispiele nannte sie IBM, die spezielle Programme für Menschen mit Behinderungen und Schulungen zur Förderung von Diversity und Sensibilisierung implementiert haben. Unilever hat das Ziel ausgegeben, bis 2025 eine vollständig inklusive und diverse Belegschaft zu haben. Der Hamburger Handwerksbetrieb D.H.W. Schultz & Sohn bekam 2023 den Helga-Stödter-Preis der Handelskammer Hamburg für Mixed Leadership. 

"Denn auch wenn mal ein Hindernis aus dem Weg zu räumen ist, zeigten Konzerne und KMU, dass Inklusion am Arbeitsplatz möglich und vorteilhaft ist", so die Geschäftsführerin.

Sara Hildebrandt Sara Hildebrandt
Sara Hildebrandt, Geschäftsführerin der HR Heroes GmbH, wies auf die Vorteile einer inklusiven Unternehmenskultur hin.  Foto: KWB

Wege der praktischen Umsetzung

"Wer keine vollständige Barrierefreiheit herstellen kann, kann auf orts- und zeitunabhängige Arbeitsmodelle setzen", legte Sara Hildebrandt für Office-Jobs nahe. In der Praxis könne auch die Sensibilisierung und Schulung aller Mitarbeitenden zu Themen wie Unconscious Bias bereichernd sein. "Außerdem haben sich Mentoring oder Buddy-Systeme bei inklusivem Recruiting bewährt", erklärte sie.

Aktive Vermittlung von externer Arbeit

Sven Neumann Sven Neumann
Sven Neumann, Fachleitung „Arbeit inklusiv“ bei der Elbe-Werkstätten GmbH, machte auch niedrigschwellige Gesprächsangebote an Unternehmen. Foto: KWB

Sven Neumann ist Fachleitung "Arbeit inklusiv" bei der Elbe-Werkstätten GmbH und kann viele Praxisbeispiele der erfolgreichen Arbeitsmarktinklusion geben. "Über 600 Beschäftigte sind in sogenannten Außenarbeitsgruppen und 350 in ausgelagerten Einzelarbeitsplätzen tätig", berichtet er. "Besonders freue ich mich über die betrieblichen Festanstellungen, die daraus immer wieder hervorgehen."

Ein Teilnehmer aus dem Publikum berichtete spontan von einer Außenarbeitsgruppe in seinem Unternehmen: "Das ist ein tolles Angebot. 11 Personen aus den Elbe-Werkstätten finden in Kürze ihren Einsatz im Bereich der Bettenaufbereitung in unserer Klinik."

Kooperationsformate mit Unternehmen

In welcher Form Unternehmen mit den WfbM zusammenarbeiten können, skizziert Sven Neumann in fünf Formaten:

Externe berufliche Bildung: 
2 Jahre, jeweils 4 Tage im Betrieb und 1 Tag in einer Berufsschule, 4-5 Wochen Qualifizierung im Blockunterricht, mit Arbeitsbegleitung 

Ausgelagerter Einzelarbeitsplatz: 
5 Tage im Betrieb, nach Praktikum individuelle Kostenvereinbarung, bleibt Beschäftigter der Werkstatt, mit Arbeitsbegleitung

Außenarbeitsgruppen: 
in der Regel 12 bis 24 Personen, eine Gruppenleitung vor Ort 

Budget für Arbeit: 
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, dauerhafter Lohnkostenzuschuss bis zu 75 Prozent des Arbeitnehmerbrutto, mit Arbeitsbegleitung, Rückkehrrecht in die WfbM 

Budget für Ausbildung: 
Normales Ausbildungsverhältnis, 100 Prozent Übernahme der Kosten, mit Ausbildungs- und Schulbegleitung

Praxisbeispiel Philips Medical Systems DMC GmbH

Da Jan-Pierre Leonhard, Abteilungsleitung bei der Philips Medical Systems DMC GmbH, leider kurzfristig absagen musste, beschrieb Sven Neumann den Prozess der erfolgreichen Zusammenarbeit. Die Firma hatte einen für den Vorgänger bereits besonders ausgestatteten Arbeitsplatz für die Position Assistenz des Ausbildungsleiters. Diesen wollten sie nach seinem Ausscheiden neu inklusiv besetzen. Sven Neumann hatte sofort einen geeigneten Mitarbeiter im Kopf. Die Probezeit lief für beide Seite gut, so dass wenig später die erste Anstellung über das Budget für Arbeit vertraglich festgelegt wurde. 

Blick ins Publikum Blick ins Publikum
Unternehmensvertretungen und Akteure/-innen aus der Unterstützerlandschaft nahmen viel aus den Vorträgen mit. Foto: KWB

Weitere Implementierung von Inklusion

Es folgen weitere Kooperationen. Ausgelagerte Einzelarbeitsplätze entstanden zunächst in der hausinternen Logistik und dann auch in der Produktion. Die Beschäftigten sind in der Anoden- und Kathoden Montage, der MRC- und Glas-Strahlermontage sowie dem Bereich Recycling tätig. Auch eine weitere Anstellung über das Budget für Arbeit folgte. Im letzten Jahr fand schließlich auch eine Schulung von Abteilungsleitern zum Thema Inklusion bei den Elbe-Werkstätten am Standort in Altona statt.

Alles beginnt mit einem ersten Schritt

Sven Neumann im Gespräch mit zwei Teilnehmern Sven Neumann im Gespräch mit zwei Teilnehmern
Sven Neumann im Pausen-Gespräch. Foto: KWB

"Meine Botschaft ist: Sprechen Sie mich an, wenn Sie Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Wir entwickeln gemeinsam Ideen und finden Wege", motivierte Sven Neumann Unternehmen, den ersten Schritt zu gehen. Die vielen Nachfragen der anwesenden Unternehmen svertreter/-innen zeigen, dass diese Botschaft ankam. 

Privilege Walk im Employee Lifecycle

Nach so viel Input waren nun die Teilnehmenden gefragt. Oliver Borszik lud die Anwesenden zu einer Sensibilisierungs-Übung auf, die an eine Übung der Charta der Vielfalt angelehnt war. Auf einem Chart waren fiktive Bewerbende und Mitarbeitende beschrieben, die sich – so die Übung – mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen bei dem eigenen Unternehmen bewerben oder arbeiten. "Wählen Sie eine Person aus, in die Sie sich hineinversetzen möchten, und stellen Sie sich dann im hinteren Bereich des Raumes auf. Bei jeder Frage, die Sie mit ‚ja‘ beantworten können, gehen Sie einen Schritt vor", erläuterte Borszik.

Ungleiche Zugänge werden sichtbar und greifbar

Schritt für Schritt wendeten die Teilnehmenden die Fragen auf ihren fiktiven Charakter an: 

  • "Ich kann die ausgeschriebene Stelle online oder offline gut finden"
  • "Es gibt die Möglichkeit eines Praktikums bzw. für ein Probearbeiten, um herauszufinden, ob die Tätigkeiten wirklich zu mir passen und um meine potenziellen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen."
  • "Die Vorauswahl für ein Bewerbungsgespräch kann ich meistern, wenn ich mich in meiner Bewerbung authentisch präsentiere, so wie ich bin."
  • "Die Vereinbarkeit der angestrebten Tätigkeit mit meiner persönlichen Situation kann ich vor oder während der Einarbeitung ohne Bedenken ansprechen."
Dr. Oliver Borszik leitet Teilnehmende an, die hinter einer Linie stehen. Dr. Oliver Borszik leitet Teilnehmende an, die hinter einer Linie stehen.
Der Privilege Walk wirkte als spannende Sensibilisierungsübung. Foto: KWB
Teilnehmende stehen in kleinen Gruppen zusammen. Teilnehmende stehen in kleinen Gruppen zusammen.
Beim Ausklang der Veranstaltung wurden noch weiterdiskutiert und genetzwerkt.  Foto: KWB

Die wenigsten Teilnehmenden konnten alle Aussagen mit "ja" beantworten. So befanden sich am Ende nur wenige ganz vorne im Raum. Stehend im Raum verteilt entspann sich aus der Übung eine spannende Diskussion über entdeckte Barrieren und Inklusionspotenziale, die nach Veranstaltungsende am Büffet weitergeführt wurde.

An diesem Nachmittag wurde in jedem Fall ein wichtiger Schritt für eine inklusivere Arbeitswelt gegangen.

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Kontakt


Die Netzwerkstelle "Demographie Netzwerk Hamburg" wird im Rahmen des Projekts "Fachkräfte für Hamburg" von der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg finanziert und durch das Aktionsbündnis für Bildung und Beschäftigung Hamburg – Hamburger Fachkräftenetzwerk unterstützt.

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