Lernen und Arbeiten im 21. Jahrhundert

Fachkongress des ddn-Netzwerks Hamburg zur Digitalisierung der Arbeitswelt

02.03.2022

Handlungsspielräume beim Thema psychische Beeinträchtigung

Forum Inklusion: Psychische Beeinträchtigung
Mitarbeitende und Vorgesetzte können eine große Unterstützung bei psychischer Beeiträchtigung sein. 

An welchen Frühindikatoren können Vorgesetzte und Kollegen/-innen psychische Belastungen von Mitarbeitenden erkennen? Welche Maßnahmen können präventiv ergriffen werden? Und wer hilft, wenn die Probleme im Unternehmen scheinbar nicht gelöst werden können? Das Forum Inklusion eröffnete den rund 70 Teilnehmenden Perspektiven und Handlungsspielräume beim Thema psychische Beeinträchtigung von Mitarbeitenden.

Hinsehen und handeln

"Eine zentrale Kernbotschaft des letzten Forum Inklusion war, dass es wichtig ist, eine Haltung des Hinsehens zu entwickeln, damit Betroffene aktiviert werden, sich der eigenen Situation zu stellen und gegebenenfalls gezielt Hilfe in Anspruch zu nehmen", griff Dr. Oliver Borszik, Moderator des Forum Inklusion, den Faden der vorangegangenen Veranstaltung auf. "Hilfe anzunehmen, wird in unserer Gesellschaft zu oft mit Schwäche assoziiert, dabei ist es eine starke Handlung", so Borszik weiter. Er verwies außerdem auf die gewonnene Erkenntnis hin, dass Vorgesetzten im Umgang mit psychisch erkrankten oder auffälligen Mitarbeitenden die Aufgabe zukomme, eine ausgewogene Haltung zwischen Verständnis und Entlastung auf der einen sowie Anforderung und Aktivierung auf der anderen Seite zu finden.

Handlungsspielräume nutzen

Dr. Oliver Borszik
Dr. Oliver Borszik übermittelte die Erkenntnisse des letzten Forum Inklusion für die Teilnehmenden des aktuellen Forums.

"Ihre Haltung und Ihr Verhalten als Geschäftsführung, Vorgesetzter, Personalleitung oder Ausbildungsleitung ist ein entscheidender Hebel für das mentale Wohlbefinden im Unternehmen", erläutert er. "Wir wollen Sie daher heute dafür sensibilisieren, eigene Handlungsspielräume beim Erkennen und Ansprechen von psychischen Belastungen zu erweitern und die Rahmenbedingungen im Unternehmen so zu gestalten, dass mentale Gesundheit gut möglich ist."

Frühindikatoren wahrnehmen

Dr. Anton Hütz ist im Haus für Gesundheit und Arbeit für die Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit zuständig. Er vermittelte, wie Personalverantwortliche bei psychischer Beeinträchtigung von Beschäftigten handeln und die Arbeitskraft erhalten können. "Das Erkennen der Frühindikatoren spielt eine wichtige Rolle. Lässt die Grundarbeitsfähigkeit, wie Pünktlichkeit, Disziplin, Durchhaltevermögen, plötzlich nach? Ist die Person vergesslicher oder legt eine höhere Fehlerquote oder Vermeidungsstrategien an den Tag? Oder zieht sie sich allgemein mehr zurück, ist empfindlicher oder aggressiver? All das kann auf eine psychische Belastung hinweisen", so Dr. Hütz.

Teilnehmende des Forums handeln

Anton Hütz
"Erkennen, ansprechen, handeln und im Gespräch bleiben", lautet die Empfehlung von Dr. Anton Hütz vom HAuG.

Die Beteiligung an der Live-Umfrage ist hoch, als er wissen möchte, ob die Teilnehmenden des Forums schon einmal Belastungen und psychische Auffälligkeiten bei Mitarbeitenden wahrgenommen und angesprochen haben. Das erfreuliche Ergebnis: 45 Prozent der 53 Teilnehmenden der Umfrage gaben an, dass sie schon mal das Gespräch mit einer betroffenen Person gesucht und dabei ein positives Feedback erhalten haben. 25 Prozent übermittelten, dass sie Auffälligkeiten erkannt, aber der betroffenen Person gegenüber nur Andeutungen gemacht hätten.

Haus für Gesundheit und Arbeit

Angebote des HGuA
Das HGuA bündelt umfangreiche Untersützungsangebote unter einem Dach.

Das (An-)Sprechen nach dem Erkennen ist ein wichtiger nächster Schritt. Dabei muss die Führungskraft oder die/der Mitarbeitende natürlich sensibel vorgehen, um nicht übergriffig zu werden. Eine Möglichkeit ist der Hinweis auf das Haus für Gesundheit und Arbeit (HGuA). Dieses bündelt viele Kompetenzen sowie Unterstützungsangebote der Stadt Hamburg unter einem Dach. "Den Satz ‚Dafür sind wir nicht zuständig‘ gibt es bei uns nicht", erklärt Dr. Hütz. "Zu uns kommen zum Beispiel gesundheitlich eingeschränkte Menschen, bei denen die Erwerbsfähigkeit bedroht, das Beschäftigungsverhältnis gefährdet oder ein Reha-Bedarf zu erwarten ist", so Dr. Hütz. "Mit einem ganzheitlichen Gesundheits- und Arbeitscoaching versuchen wir, beruflichen und privaten Problemen auf den Grund zu gehen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln."

Anlaufstelle Perspektive Arbeit & Gesundheit

Michael Gümbel (PAG)
"Belastungen sollten nicht als Konflikte individualisiert werden", rät der PAG-Leiter Michael Gümbel.

"Unser Angebot hat einen klaren Schwerpunkt auf Problematiken im Arbeitsumfeld", arbeitet Michael Gümbel, Leiter der Anlaufstelle Perspektive & Arbeit (PAG), den Unterschied zu anderen Unterstützungsangeboten heraus. "Wir fragen: Welche Belastungen liegen vor und wie ist die Arbeitssituation?" Dabei stellen die Mitarbeitenden der PAG immer wieder fest, dass Belastungen als Konflikte mit anderen gesehen werden. "Unsere Aufgabe ist bei solchen unklaren Situationen die Orientierungsberatung. Ziel ist es, die Belastungen von den Konflikten zu isolieren und Handlungsspielräume zu ermitteln. Wir sehen häufig viel Potenzial, Personen oder auch Personengruppen in der Arbeitsfähigkeit und im Unternehmen zu halten", berichtet Gümbel.

Gefahrenbeurteilung als wichtiges Instrument

Gefährdungsbeurteilung
Feste Strukturen im Unternehmen sichern den Erfolg von Gefährdungsbeurteilungen ab.

Die PAG definiert die Gefahrenbeurteilung als wichtiges Instrument zur Verbesserung der Rahmenbedingungen. Aber wird diese auch in allen Unternehmen genutzt? Die Umfrage im Forum zeigt, dass bei 40 Prozent der Teilnehmenden bereits eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und diese auch mindestens ein Mal aktualisiert wurde. 19 Prozent gaben jedoch an, dass dazu bislang noch kein Anlass bestand. 

"Der Arbeitgeber ist verpflichtet, diese durchzuführen und erforderliche Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen, wenn es ihm möglich ist. Manchmal fehle allerdings der Mut in Unternehmen, diese wirklich umzusetzen", weiß Michael Gümbel aus Erfahrung.  

Fallbeispiele aus der Beratung

"Es gibt auch nicht immer eine Lösung, bei der die Arbeitsfähigkeit in dem bisherigen Unternehmen gesichert werden kann", berichtet er. "Uns hat ein Arbeitgeber angeschrieben, dass sein bester Mitarbeiter Zeichen psychischer Belastung aufweise. In der Zusammenarbeit stellte sich heraus, dass Teamkultur und Zeitdruck den Mitarbeiter zermürbten. Da die Vorgesetzen aber nichts daran ändern wollten und die Geschäftsführung sich dem gegenüber machtlos fühlte, kam es anschließend zu einem Aufhebungsvertrag."

Die Rahmenbedingungen in einer Gefährdungsbeurteilung festzuhalten, mache in jedem Fall Sinn, erläutert Michael Gümbel abschließend. "Dabei kann es auch vorkommen, dass Belastungen in einem Unternehmen gesehen werden, aber gesagt werden muss 'Wir können daran im Moment nichts ändern'. Dass diese Problemlage von dem Unternehmen gesehen und kommuniziert wird, ist wichtig, damit sich nicht einzelne 'schuldig' fühlen", so der Berater. 

Unterstützende Anlaufstellen

Für Dr. Borszik bestätigten diese Beispiele, dass es wichtig ist, die Person von den Bedingungen zu trennen. "Körperliche Reaktionen sind vor allem gesunde Reaktionen auf ungesunde Rahmenbedingungen", stellt er fest. Er dankte den Referenten sowie Teilnehmenden und schloss: "Schön, dass wir heute feststellen konnten, dass sich viele schon trauen, Betroffene anzusprechen. Damit Sie auf professionelle Unterstützungsangebote verweisen können, haben wir Ihnen zwei Anlaufstellen vorgestellt und weitere im Handout zusammengestellt, das wir gerne mit Ihnen teilen möchten. Wir freuen uns, wenn Sie beim Forum Inklusion im Sommer wieder dabei sind."

Material aus dem Forum Inklusion zum Download

Präsentation von Anton Hütz, Haus für Gesundheit und Arbeit (HGuA)

Präsentation von Michael Gümbel, Perspektive Arbeit & Gesundheit (PAG)

 

Handout: Anlaufstellen bei psychischer Beeinträchtigung

Handout: Unterstützung für inklusive Unternehme

 

Ergebnis der Umfrage: Arbeitsort und Position

Ergebnis der Umfrage: Erfahrungen mit ansprechen und handeln

Ergebnis der Umfrage: Gefährdungsbeurteilung


Hintergrund

Das Projekt "Fachkräfte für Hamburg" der KWB e. V. setzt das Forum Inklusion im Auftrag der Sozialbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg im Rahmen des Aktionsbündnisses für Bildung und Beschäftigung Hamburg – Hamburger Fachkräftenetzwerk um.

Lassen Sie sich über eine E-Mail an Janna Bischoff (janna.bischoff@kwb.de) gern auf die Einladungsliste setzen, so dass wir Sie über die kommenden Termine des Forum Inklusion informieren können.